Sehr geehrter Herr Wendler,
es ist begrüßenswert, dass Sie das Thema der direkten Mitbestimmung (Basisdemokratie) in Ihrem Kommentar aufgreifen. Als Kandidat für die kommende Bürgerschaftswahl führe ich zahlreiche Gespräche mit Menschen auf der Straße und kann sagen: Viele fühlen sich in unserer repräsentativen Demokratie nicht mehr repräsentiert. Die Politik erscheint ihnen losgelöst von den wirklichen Problemen, und sie wünschen sich, gehört zu werden und mitbestimmen zu können. Insofern befremdet mich die Haltung, die in Ihrem Kommentar zum Ausdruck kommt. Das Bemühen engagierter Bürger um mehr Mitbestimmung als Gefahr für die Demokratie hinzustellen, ist starker Tobak und passt eigentlich nicht zu einer Zeitung, die sich selbst als überparteilich bezeichnet. Und dass Sie unser Wahlprogramm in einem Kommentar abwerten, ohne Ihre Leser zuvor jemals über unsere tatsächlichen Ziele und Forderungen informiert zu haben, ist schlechter journalistischer Stil.
Wie sieht es denn mit der Demokratie in Bremen aus? Bezieht man Nichtwahlberechtigte, Nichtwähler und Wähler von Kleinparteien mit ein, sind im Augenblick fast 60 Prozent der Bremer nicht in der Bürgerschaft vertreten. Das heißt, nur rund 40 Prozent haben ihre Stimme einer Partei gegeben, die in der aktuellen Bürgerschaft sitzt. Aber auch diese Minderheit hat kaum direkten Einfluss auf „ihre“ Abgeordneten, denn: Kaum eine Partei praktiziert wirkliche Basisdemokratie, vielmehr werden Entscheidungen oft von oben nach unten durchgesetzt. Der Mitgliederschwund bei den großen Parteien spricht hier eine deutliche Sprache.
Wir als Partei dieBasis betrachten diese Entwicklung mit Sorge, weil sie den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zunehmend gefährdet. Für uns kann die Lösung nur darin bestehen, die Bürger häufiger direkt einzubeziehen. Dabei geht es nicht darum, „wahllos über Befindlichkeiten“ abzustimmen, wie es in Ihrem Kommentar verfälschend und fast schon verächtlich heißt, sondern ganz im Gegenteil: Wir wollen die Menschen an den bedeutsamen politischen Vorhaben beteiligen, wobei jeder die Freiheit hat, die Bedeutsamkeit einer Frage selbst zu bewerten. Und da diese Bewertungen im Einzelfall höchst unterschiedlich ausfallen, kann es nicht verwundern, wenn sich an Volksentscheiden weniger Menschen beteiligen als an Wahlen. Ihre Folgerung, dass sich darin ein Desinteresse an direkter Demokratie ausdrückt, ist gewagt – mit dieser Logik könnte man auch die Stadtreinigung in Frage stellen, weil sich beim jährlichen Aktionstag „Bremen räumt auf“ nur ein Bruchteil der Bürger beteiligt.
Und um einmal die Größenverhältnisse zu veranschaulichen: Selbst wenn in Bremen nur ein Prozent der Wahlberechtigten an einem Volksentscheid teilnehmen würden, wären das immer noch 55 mal mehr Menschen, als wir Abgeordnete in der Bürgerschaft sitzen haben. Nach meinem Verständnis von Demokratie wäre ein solcher Entscheid also 55 mal demokratischer als jeder Bürgerschaftsbeschluss. Welches Verständnis von Demokratie haben Sie, Herr Wendler?
Martin Wandelt,
Partei dieBasis, Beisitzer des Vorstands im Landesverband Bremen, Listenkandidat für die Bremische Bürgerschaft und den Beirat Hemelingen